Veröffentlicht am 10. Mai 2024

Highs & Lows: Die Geschichte der Schweiz am Eurovision Song Contest

Die Höhepunkte. Die Tiefpunkte. Die Schweiz beim ESC: Was bisher geschah

Journalist
8051

Nach dem Zweiten Weltkrieg entschied sich Europa, seine Streitigkeiten in Zukunft ausschliesslich musikalisch auszutragen und rief den Eurovision Song Contest ins Leben. Der Plan klappte nicht reibungslos – 2024 leider so wenig wie selten zuvor –, doch brachte der ESC Hunderte unvergessliche Momente in der Show-Geschichte hervor. Meist mittendrin: die Schweiz.

So auch am kommenden Wochenende, wenn Nemo in Malmö auf die Bühne tritt und unseren langen, nationalen Albtraum beenden soll. Als Mitfavorit gehandelt, stehen seine Chancen nicht schlecht, nach 36 Jahren wieder den Sieg hei zu bringe. Bevor es so weit ist, werfen wir einen Blick auf die Geschichte der Schweiz beim ESC.

Wir triumphierten. Wir debakulierten. Wir lancierten eine Weltkarriere. Und schickten Abfallsäcke auf die Bühne. Europa gab uns dix points. Und zéro points. Und alles dazwischen. Alors, ecco a voi!

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Lys Assia, 1956: Ausgabe 1, Platz 1

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Aller Anfang ist bekanntlich bubi einfach. Beim ersten Song Contest in Lugano gewann Lys Assia mit dem Song «Refrain» für die Gastgeberin. In den zwei darauffolgenden Jahren versuchte die Rupperswilerin ihren Erfolg zu wiederholen und eroberte 1958 immerhin den zweiten Platz.

Gianni Mascolo, 1968: Unsere Serafe Gebühren haben für diesen Anzug bezahlt!?

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1967 bildete die Schweiz zum ersten Mal das alleinige Schlusslicht, nachdem Géraldine null Punkte erhielt. Ein Jahr lang wehten Flaggen auf Halbmast, Kinder weinten in den Strassen. Fragt nur eure Grosseltern. Um die Schmach zu rächen, wurde Gianni Mascolo entsandt. Oder: Was, wenn Austin Powers in der Buchhaltung statt beim Geheimdienst gelandet wäre? Der ESC feierte Premiere in Farbe, doch tausend tote Aprikosen konnten nicht verhindern, dass Mascolo auf dem 13. Platz landete.

Patrick Juvet, 1973: L'amour est l'amour

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ESC lässt sich inzwischen nicht ohne LGBTQ buchstabieren. 1973 trat mit dem in Montreux geborenen Patrick Juvet zum ersten Mal ein queerer Kandidat für die Schweiz an (und landete auf Platz 12). Der Sänger verheimlichte bereits in den Siebziger Jahren seine Bisexualität nicht, machte diese aber erst 2005 in seiner Autobiografie für die breite Öffentlichkeit offiziell.

Peter, Sue & Marc, 1976: Änglisch, chasch?

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Fünf Jahre nach ihrem ersten Versuch traten Peter, Sue & Marc in Den Haag erneut zum ESC an. Hätten sie gewonnen, wäre nicht dieser absolute Albtraum eines Clowns mit auf der Bühne gewesen? Ziemlich sicher. «Djambo, Djambo» war der erste englischsprachige Song, den die Schweiz ins Rennen schickte. Im darauffolgenden Jahr wurde die freie Sprachwahl wieder abgeschafft und die Länder mussten bis 1998 in einer Amtssprache serenieren.

Pepe Lienhard Band, 1977: Release the Alphorn!

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Oh, hey! Einer der besten 100 Schweizer Songs aller Zeiten – der einzige ESC-Beitrag, der es in unser Ranking geschafft hat. Vielleicht deshalb, weil die Schweiz endlich ihre Geheimwaffe aus dem Schrank holte: das Alphorn. Gespielt wurde es jedoch vom Iraner Mostafa Kafa'i Azimi. Das universale Musikschaffen wurde mit dem respektablen 6. Platz belohnt.

Peter, Sue & Marc feat. Pfuri, Gorps & Kniri, 1979: Release the Gartenschere!

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Es war ein kleiner Schritt für die Schweiz, aber ein grosser Schritt für die Recycling-Bewegung. In ihrem dritten und zweitletzten ESC-Auftritt wurden Peter, Sue & Marc durch Pfuri, Gorps & Kniri verstärkt. Der Avantgarde-Trupp hatte sich durch seine unkonventionellen Instrumente (Müllsäcke, Giesskannen, Wasserschläuche usw.) bereits einen internationalen Namen gemacht. Am Ende zwar nur auf Platz 10, gilt «Trödler & Co.» noch immer als einer der frühesten und denkwürdigsten Beiträge im «Make the ESC weird»-Kosmos.

Paola, 1980: Fast ganz grosses Kino

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1969 hatte es Paola schon einmal am ESC auf Platz 5 geschafft. 1980 – ohne ihren Familiennamen Del Medico – verbesserte sie sich mit dem Song «Cinéma» immerhin um einen Platz. Den Hauptgewinn zog sie jedoch fünf Monate später. Die Schlagersängerin heiratete TV-Moderator Kurt Felix und gemeinsam wurden sie zu Machine Gun Kelly und Megan Fox ihrer Generation. Oder so.

Arlette Zola, 1982: Ein bisschen dritter Platz

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Fast zwanzig Jahre lang hatte die Schweiz keine frische Luft auf einem ESC-Podest geschnuppert, bis Arlette Zola mit «Amour on t'aime» 1982 in England den dritten Platz eroberte. Noch viel grösser war die Erlösung in Deutschland: Nicole gewann mit «Ein bisschen Frieden» zum ersten Mal den Contest pour l'Allemagne.

Daniela Simons, 1986: Aufwärmrunde

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Das Momentum baut sich auf: Zweiter Platz für Daniela Simons und «Pas Pour Moi» im norwegischen Bergen. Geschrieben wurde der Song von Atilla Şereftuğ und Nella Martinetti. Irgendwo im SRF-Tower raunte jemand in der Unterhaltungsabteilung: Let them cook...

Céline Dion, 1988: Her Heart Will Go On

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Now we're COOKING. In einer der spannendsten Endrunden überhaupt gewann die Schweiz mit einem Punkt Vorsprung zum zweiten Mal den Eurovision Song Contest. Atilla Şereftuğ und Nella Martinetti komponierten den Siegertitel «Ne partez pas sans moi», interpretiert von einer damals noch relativ unbekannten Céline Dion. Wahrscheinlich hängt ihr Tüllrock heute noch irgendwo eingerahmt in der Chefetage des Schweizer Fernsehens, so wie ein Trikot von Michael Jordan bei den Chicago Bulls.

Furbaz, 1989: Buna saira

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Gewonnen, mit einer der besten Gesangsdarbietungen in der Geschichte der Veranstaltung. Natürlich waren wir auch ein Jahr später noch im Siegesrausch. Glaubten, unverwundbar zu sein. Dachten in unserem Grössenwahn: «Und jetzt schicken wir ein rätoromanisches Lied ins Rennen!» Eine schöne Geste an die vierte Landessprache und ein somit durchaus historischer Moment in der Schweizer ESC-Geschichte. Selbst wenn «Viver senza tei» von Furbaz nur auf Rang 13 landete.

Gunvor, 1998: Lasst sie!

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Dass die Schweiz eine Stepptänzerin zu einem Gesangswettbewerb entsandte, war rückblickend vielleicht ein nicht komplett durchdachter Plan. Am Ende des Abends landete Gunvors «Lass ihn» mit null Punkten auf dem undankbaren letzten Platz. Kann passieren. Doch die Schweizer Boulevardpresse fiel im Anschluss über die junge Frau her, als hätte sie auf der Bühne die Bundesverfassung als Serviette benutzt. Von der ekelhaften Medienkampagne hat sich die Sängerin inzwischen zum Glück erholt und ist noch immer im Musikgeschäft tätig.

Piero Esteriore & The MusicStars, 2004: The Day the Music Died

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Im Jahr 2002 ging die Swissair scheinbar über Nacht pleite. Es war ein nationales Trauma. Die grösste Demütigung, welche dieses Land jemals auf der Weltbühne über sich ergehen lassen musste. Gewiss konnte nichts diese Blamage jemals unterbieten. Richtig? Richtig!? «Hold my Energy Drink», dachten sich Piero Esteriore & The MusicStars und lieferten eine Performance, die vielen ESC-Fans bis heute als eine der schlechtesten(!) in der Geschichte(!!) vom Anlass(!!!) gilt. «Celebrate!» ist ein Lied, das Hotelanimateure in ihrem Kopf hören, kurz bevor sie nach der sechsten 20-Stundenschicht in Folge in hysterische Tränen ausbrechen. Wir möchten diese Plattform nutzen und den Bundesrat fragen, ob es bereits zu spät ist, eine Sammelklage gegen den Komponisten Greg Manning aufzugleisen? Piero musiziert inzwischen mit seinen Brüdern international erfolgreich und wir schunkeln gerne mit. Doch «Celebrate!» war die Friedhofsglocke, welche die dunkelste Ära in der Schweizer ESC-Geschichte einläutete.

DJ Bobo, 2007: Der Superduperstar soll es richten

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«Okay Leute. Um beim ESC wieder auf die Beine zu kommen, brauchen wir eine richtig grosse Nummer.» «Alles klar, wir schicken den bekanntesten Star, den dieses Land je hervorgebracht hat!» «Grossartige Idee. Aber vielleicht sollten wir vorher erst in eine Karaoke Bar mit Roger Federer, um zu schauen ob-...» «Quatsch, ich meine DJ Bobo.» «Oh. Okay. Auch gut.» «Er möchte über Vampire singen.» «Über-...was? Warum!?» «Glaub mir, das wird riesig!»

Es wurde nicht riesig.

Michael von der Heide, 2008: Der Chansonnier soll es richten

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Der ESC und Michael von der Heide, das sollte eigentlich passen wie Zopf und Nutella. Der ESC und Michael von der Heide in einem Goldfrack, das sollte eigentlich passen wie Zopf und Nutella und kleine Marshmellows auf dem Zopf mit Nutella. Doch «Il pleut de l'or» landete auf der bestrichenen Seite des Brötchens am Boden.

Takasa, 2013: Die Heilsarmee soll es richten

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Die Verzweiflung im Land nahm zu. So sehr, dass sich die säkulare Schweiz an die höchste Macht im Universum wandte: Gott. Und Georg Schlunegger. Der Hit-Produzent (u.a. für Francine Jordi, Florian Ast, Trauffer) liess von Mitgliedern der Heilsarmee das Lied «You and Me» einspielen. Die in Malmö als Takasa auftretende Gruppe schaffte es dennoch nicht, dass unsere Gebete erhört wurden. Immerhin: Der 95-jährige Emil Ramsauer spielte am Bass, bis heute der älteste Teilnehmer an einem ESC.

Luca Hänni, 2019: Morning Has Broken

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Wir schrieben das Jahr 15 nach «Celebrate!». In den vergangenen 14 Ausgaben konnte sich die Schweiz zehn Mal nicht für das Finale qualifizieren, landete einmal im Finale auf dem letzten Platz. Während dieser Zeit schien keine Sonne im ganzen Land und saurer Regen vergiftete unsere Felder. Wir brauchten einen Helden. Einen Helden am Ende der Nacht. Doch wer? Wer!? Luca Hänni, that's wer! Der Berner hatte bereits 2012 bei «Deutschland sucht den Superstar» gewonnen. Mit «She Got Me» gelang ihm zwar keine Goldmedaille, doch goss er mit dem grossartigen vierten Platz zumindest etwas Champagner über die lange Durststrecke.

Gjon's Tears, 2021: Freudentränen

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Zum Heulen schön: Endlich gewann die Schweiz wieder an einem ESC – zumindest das Halbfinale. «Tout l'univers» von Gjon's Tears schlug sich aber auch in der Endrunde ausgezeichnet und bescherte der Schweiz mit Rang 3 nach 23 Jahren (Annie Cotton, 1993) wieder einen Platz auf dem Podest.

Ob sie dort auch an diesem Samstag landet? Am 11. Mai um 21 Uhr erwartet uns die Antwort. Entweder live auf SRF oder YouTube.

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