Veröffentlicht am 10. Februar 2023

Eine Begegnung mit dem K-Pop Idol YOUHA

Im koreanischen Pop passiert es selten, dass man ein sogenanntes Idol persönlich zu einem Gespräch treffen darf. Wir haben deshalb die rare Chance genutzt, die Künstlerin YOUHA zu interviewen. Sie wurde ab ihrem elften Lebensjahr in der Produktionsfirma ausgebildet, die auch Blackpink hervorbrachte und ist nun solo unterwegs – als Sängerin, aber auch als Co-Songwriterin für K-Pop-Stars.

Journalist

Seit gut vier Jahren befasse ich mich mit dem Thema K-Pop. Eine Welt, die mir erst zu grell und zu bunt erschien. Eine Welt, von der man viele unschöne Geschichten hörte. Zum Beispiel über die Ausbildung der jungen «Trainees», die über Jahre in großen Produktionsfirmen ausgebildet werden, um im Idealfall irgendwann als Idol zu debütieren. Eine Welt, die vom Musikjournalismus bis vor einigen Jahren größtenteils ignoriert oder wenn dann sehr unwissend und manchmal gar rassistisch beurteilt wurde. Denn das merkte ich sehr früh: Man muss erst ein wenig mehr über die südkoreanische Kultur lernen, um zu verstehen, warum viele jungen Menschen so früh und mit so viel Biss und Disziplin ihren Traum angehen, mal ein Idol zu werden. Aber eines merkte ich in dieser Welt auch sehr schnell: Einerseits gab es plötzliche koreanische Youtuber, die die Artikel von mir und meiner Partnerin in langen Vlogs besprachen und koreanische Produktionsfirmen, die mich plötzlich zu Konzerten einluden – aber eines gab es nicht: klassische Interviews mit den Idols. Denn auch das ist eine bittere Wahrheit: K-Pop hat uns Musikjournalist:innen nicht wirklich nötig.

Nach dem Hype um BTS, Blackpink und neuerdings New Jeans wollen auf einmal viele Journalist:innen mit den Idols reden, aber die tun das immer noch – wenn überhaupt – nur sehr ausgewählt und in einem kontrollierten Rahmen, der vielen Musikjournalist:innen widerstrebt. Das können sie sich erlauben, weil sie das, was Musikjournalismus in seinen Anfangszeiten leistete – nämlich den direkten Zugang zum Star – ganz gut ohne eine klassische Musikpresse liefern können. K-Pop ist zum einen für das koreanische Fernsehen sehr wichtig. Es gibt zahlreiche Musik- und Variety-Shows, wo man die Idols genannten Musiker:innen bei diversen Spielchen oder Performances sehen kann. Ausserdem hat jeder K-Pop-Act eigene Kanäle: Auf Plattformen wie Weverse gibt es regelmässig Live-Streams von einzelnen Bandmitgliedern und Solo-Acts, die man manchmal sogar direkt nach einem Konzert sehen kann. Es ist allerdings eine sehr kontrollierte Nahbarkeit, denn all diese Idols sind über Jahre auch im Umgang mit Medien geschult worden.

Stuhlkreis statt normales Interview

Deshalb sagte ich natürlich zu, als mir das Label Universal anbot, die junge Künstlerin YOUHA zu treffen. Sie begann ihre Trainee-Ausbildung mit elf Jahren und wurde in einer der grössten und erfolgreichsten Produktionsfirmen in Korea ausgebildet: YG Entertainment, die auch hinter dem Erfolg vom Blackpink stehen. Am gleichen Tag, an dem ihre einstigen Kolleg:innen Blackpink ihre erste grosse Show in Berlin spielten, nutzte das Label die Invasion der K-Pop-Fans, um Events mit YOUHA zu veranstalten und die angereisten K-Pop-Enthusiast:innen dort hin zu locken. Die Regeln des Interviews sehen dann so aus: Meine Fragen werden im Vorfeld erbeten und alles, was sich um Blackpink und YG Entertainment dreht, soll (angeblich) auf Bitten der Künstlerin nicht zur Sprache kommen. Die Zeitfenster sind mit 15 Minuten knapp getaktet, das war vorher klar. Auch, dass jemand vom deutschen Label dabei sitzt, ist bei grösseren Acts heutzutage oft Standard. Die Kollegin von Universal Korea, die ein wenig beim Übersetzen helfen soll, macht auch noch Sinn. Aber dann geht es los und irgendwie rauschen plötzlich noch sechs andere Menschen mit in den Raum, darunter vermutlich ihr Styling- und Social-Media-Team und sicher auch ihr Management. Auf einmal sitze ich also wie in einem grossen Stuhlkreis und muss alles andere ausblenden, um mich auf das eigentliche Interview zu konzentrieren.

Und auch das macht mich nervös. Denn K-Pop Idols sind im Real Life – oder besser: in dem Part davon, den sie teilen möchten – entrückt schöne Menschen, die sich ganz in den Dienst ihres Idol-Seins stellen. YOUHA ist perfekt gestylt, hellwach und selbst ein klein wenig nervös, weil auch sie nach der langen Pandemie zum ersten Mal den realen Kontakt mit ihren Fans hat und zum ersten Mal internationale Promotion dieser Art machen kann. Sie spricht sehr gutes Englisch – was bei K-Pop-Idols gar nicht so oft der Fall ist – und fragt nur manchmal bei der Labelkollegin nach einem Begriff oder einer Formulierung. Auf ihrem Schoss balanciert sie ihr Smartphone und entschuldigt sich im Vorfeld dafür: Sie habe sich für die einzelnen Fragen Notizen gemacht, ob das OK sei. Klaro.

Immer noch besser werden

Wie fühlt es sich denn nun also an, hier zum ersten Mal ihre deutschen Fans zu treffen, frage ich sie: «Es war mein erstes Face-to-Face-Meeting mit meinen Fans überhaupt. Sie waren so cute, und so nervös. Und sie sind grossartige Unterstützer:innen. Es ist sehr besonders, dass es sie gibt, weil meine Karriere ja erst begann, als es nicht möglich war, sie zu treffen.» Tatsächlich erschien ihre Debüt-Single „Island“ inmitten des ersten Pandemie-Herbstes und fand trotzdem Fans auf der ganzen Welt. Eine klassische K-Pop-Nummer, ein wenig dreamy, sehr catchy – eher lässig als zuckersüss. Ich frage sie, ob ihr der K-Pop-Hype um BTS und Blackpink helfe. Darauf sagt sie sehr diplomatisch: «Für mich es eine grossartige Gelegenheit, meine Musik zu zeigen. Jetzt, wo K-Pop auf der ganzen Welt berühmt geworden ist. Ich will versuchen, eine noch bessere Sängerin zu werden.» Dass sie ein Idol werden will, habe sie schon als kleines Kind gewusst, erzählt sie dann. Eine Aussage, die man oft aus Südkorea hört. «Die Freude am Singen, Tanzen und Performen und die Liebe zur Musik waren in meiner Familie schon immer sehr gross», sagt YOUHA. Was nicht wundert, wenn man weiss, dass ihre Mutter eine Schauspielerin, Musical-Darstellerin und inzwischen TV-Produzentin ist.

Dieser Wunsch permanent «besser» zu werden, obwohl ihr Gesang und ihre Performance schon längst auf einem Top-Level sind, ist ein weiterer Antrieb im Leben eines Idols. Selbst die BTS-Boys reden noch davon, obwohl sie längst bewiesen haben, dass andere im Vergleich zu ihnen Grobmotoriker sind. Eine für einige vielleicht streberhaft wirkende Attitüde, die einem befremdlich erscheint – die aber Sinn macht, wenn man sie in den Kontext der südkoreanischen Leistungskultur setzt. Man kann das gut am Beispiel ihrer aktuellen Single «Last Dance» und dem Video dazu festmachen. «Dieses Video zu konzipieren und zu drehen hat ungefähr vier Wochen gedauert. Ich habe sehr hart mit meinem Choreographen trainiert, weil ich wollte das Ausdruck und Performance perfekt zu dem passen, was ich mit dem Song sagen wollte.» Dann atmet sie lächelnd, aber hörbar auf, als wolle sie sagen: «War n hartes Stück Arbeit.»

Gibt es «Independent Idols»?

Wenn man genauer schaut, was diese gerade mal 23 Jahre junge Frau so alles macht, merkt man schnell, dass sie das Korsett einer Idol-Karriere, wie man sie zuvor angehen musste, ein wenig abstreifen konnte. Es klingt obskur, hier das Wort «Independent» zu benutzen, weil sie nun mal über eine Audition bei Universal Korea ihren Major-Label-Deal bekommen hat. Aber im Vergleich zu einer Laufbahn im Hause YG, wo sie maximal Teil einer Band geworden wäre, ist sie fast so etwas wie ein „Independent Idol“. Sie konnte selbst entscheiden, dass sie eine Solokarriere angehen will, was nicht vielen Trainees vergönnt ist. Dazu sagt sie mir: «Ich wollte meine eigenen Geschichten, Gefühle und Gedanken singen und einen Platz für meine Kreativität finden. So wie es jetzt ist, ist es die bestmögliche Chance, mich künstlerisch auszdrücken. I am very satisfied now.» Die Art, wie sie das «now» betont und dabei lächelt, lässt viel Raum für die Interpretation, dass das vorher nicht so gewesen sei. Aber YOUHA gibt ebenso zu: «Manchmal ist es auch schwer, independent zu sein, weil es natürlich viel mehr Arbeit für mich bedeutet. Aber mein Label Universal hilft mir sehr dabei.» Das Wort «independent» gefällt ihr spürbar, sie lächelt jedes Mal und nickt, wenn sie es benutzt.

Songwriterin für sich und andere

Was den kreativen Prozess angeht, ist Youha ebenfalls mehr involviert als andere Idols. K-Pop ist in Sachen Songwriting Teamsport und es ist alles andere als Standard, dass die Idols selbst die Songlyrics in grossen Teilen schreiben, geschweige denn die Songs komponieren. YOUHA macht beides – und zwar nicht nur bei ihren Songs. Man findet ihren Namen zum Beispiel in den Credits des Songs «What I Said» von der Boyband Victon und bei den Loona-Songs «Wow» und «PTT (Paint The Town)». Letztgenannter war ein veritabler Hit, mit allein bei YouTube über 65 Millionen Views. Für sie sei diese Arbeit mit anderen Künstler:innen ein wichtiger Bestandteil ihrer Karriere: «Ich liebe es Songs zu schreiben. Es macht mich glücklich. Sie aufzunehmen ist dann oft ein sehr schwieriger Prozess, aber er ist alle Mühen wert. Für andere zu schreiben ist eine grosse Inspiration und ein sehr gutes Training. Ich lerne dabei sehr viel für mein eigenen Songwriting. I really love my job.» Das sagen auch immer alle Idols – aber ihr glaubt man es gerade von Herzen.

Dann ist das Interview auch schon vorbei und Youha muss sich bereit machen, für die letzten Interviews und die kleine, bunte Invasion der TikTok- und Fan-Posse, die sich in der Lobby der Labelzentrale sammelt. Auf die Frage, ob sie dem deutschsprachigen Publikum noch etwas sagen möchte, was im Interview vielleicht zu kurz kam, wird es dann noch einmal unfreiwillig sweet. Da K-Pop-Idols irgendwie glauben, sie müssten mit Sprachkenntnissen des jeweiligen Landes glänzen, in dem sie gerade sind, sagt sie mit strahlendem Lächeln: «Guten Tag … Ich bin Youha and I am so happy to be here and having this interview. The time I spend in Berlin has been great. Sorry, I am nervous … So, ich liebe dich! Was that right? Ich bin immer dankbar.» Und dann erröte ich wirklich noch mal kurz, als mir diese junge, wie aus einem K-Pop-Video entstiegene Frau mit strahlendem Lächeln «Ich liebe dich» ins Gesicht sagt und alle im Raum Anwesenden gniggern. Da hätte man ihr vielleicht sagen können, dass diese Worte im Deutschen nicht so oft benutzt werden, wie im Englischen…

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